Über 70 000 Zuschauer feiern U2 in Berlin bei einzigem Konzert im Osten – und ich bin dabei!
Leicht wird es ihnen bestimmt nicht gefallen sein, am Abend des Tages der Londoner Terroranschläge auf die Bühne zu gehen und mit über 70 000 Menschen eine Party zu feiern. Doch als die Mannen von U2 gegen neun die Bühne im Olympiastadion entern, gibt es kein Halten mehr. Das Publikum, dass sich schon vorher mit La-Ola-Wellen („stehste wenigstens jetzt mal auf, wennde mich vorhin schon nicht vorbeigelassen hast…“), reißt die vier Musiker mit.
Die starten ihrerseits furios: „Vertigo“ („Eins, zwei, drei!“) vom aktuellen Album „How To Dismantle An Atomic Bomb“ knallt aus den Boxen. Leider hat der Mann am Mixer keinen guten Tag. Der Sound ist höllig laut, aber nur mäßig ausgesteuert. Mit Volldampf geht es weiter – erstmal in die Vergangenheit: Mit „I Will Follow You“ und „The Electric Co.“ wird 25 Jahre altes Liedgut vom ersten Album „Boy“ präsentiert – kraftvoll und temporeich wie am ersten Tag. Das Tempo bleibt hoch: „Elevation“, „New Years Day“, „Beautiful Day“ (nun gehen auch endlich die beiden Videowände) – erst bei „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ schalten U2 einen Gang zurück. Dafür drehen die Zuschauer auf. Den Refrain schmettert das Olympiastadion in bester Fischerchor-Manier.
Großer Jubel bei „The City Of Blinding Lights“. Die Dunkelheit hat inzwischen das Kommando übernommen, und die für U2 ungewohnt spartanische Bühne entpuppt sich als riesige Videowand. Bei „Miracle Drug“ zittert eine grüne Videokurve über die 20 mal 35 Meter große Fläche. Einer der Höhepunkte des Abends: Bono riesengroß neben einem Trickfilm-Mann bei „Sometimes You Can’t Make It On Your Own“, einer gefühlvollen Ballade, die der Sänger für seinen verstorbenen Vater schrieb.
Während der Anti-Terror-Hymne „Sunday Bloody Sunday“ – immerhin schon 22 Jahre alt – flackern Halbmond, Davidstern und Kreuz über die Wand, verbunden mit dem Appell „coexist“. Und „Running To Stand Still“ widmet der Frontman den Opfer der Londoner Anschläge. Die Bühne ist komplett in blaues Licht getaucht. Edge sitzt am Piano, Bono greift zur Gitarre und Mundharmonika, im Publikum gehen Feuerzeuge und Wunderkerzen an – Gänsehaut pur. Die hätte man sich auch bei „One“ – dem letzten Titel des offiziellen Sets – gewünscht. Leider zersägt die viel zu laut aufgedrehte Gitarre des Sängers diesen wundervollen Song komplett.
Natürlich wäre Bono nicht Bono ohne seine Worte ans Volk. Auch in Berlin ruft er dazu auf, Hunger und Armut zu bekämpfen und die Menschenrechte weltweit zu beachten. Neu indes ist seine ironische Selbstkritik: „My german is shit“, räumt er unumwunden ein.
In den Zugabenblöcken huldigen Edge, Larry Mullen jr., Adam Clyton und Bono zunächst ihrer Zoo-TV-Materialschlacht von 1992/93 – „Zoo Station“ und „The Fly“ sind bei der Bilderflut auf der Bühne fast ein optischer Overkill. Und zu „With Or Without You“ holt sich der Sänger wie gehabt ein Mädel aus der ersten Reihe zum Schmusen auf die Bühne (übrigens dieselbe wie 2001 in der Waldbühne, sogar das T-Shirt hat sie noch an). Im zweiten Block gibt’s nochmal ausnahmslos Aktuelles: „All Because Of You“, „Yaehweh“ und nochmal „Vertigo“ vertreiben die letzten Spatzen aus dem Dach des Stadions, danach prangt nach über zwei Stunden und 24 Songs fett in Rot „The end“ auf der Leinwand.
Dass das Quartett auch in Mitteldeutschland reichlich Fans hat, war nach dem Konzert zu beobachten. Oder was machen sonst so viele Sachsen, Thüringer und Sachsen-Anhalter nachts um zwölf auf der Autobahn? 🙂